„Ich kann ja schon Deutsch. Und Finnisch habe ich auch schon geübt. Jetzt muss ich nur noch alle anderen Sprachen lernen.“
Monat: August 2012
Gute alte Angst
„Mama, warum habe ich Angst vor Tieren?“ fragt mich das Räupchen. „Vor Tieren mit spitzen Zähnen?“ Es ist eine der wenigen Fragen die ich ohne gross nachzudenken, ausführlich und fachkundig beantworten könnte, hätte ich die Gabe so Sachverhalte wie Evolution so zu erklären, dass Dreijährige es verstehen. Ich überlege ein Weilchen und antworte dann, dass sie Angst hat, weil die Angst sie beschützt. Weil sie Angst hat versteckt sie sich vor Tieren mit spitzen Zähnen oder klettert auf einen Baum Mamas Arm oder ruft um Hilfe. Und dann kann sie das Tier nicht beissen.
Und obwohl ich all das schon lange weiss, geht mir erst in diesem Moment ein Licht auf. In Zukunft werde ich es weit weniger anstrengend finden, dass das Räupchen nachts nicht alleine schlafen kann, weil sie Angst hat es könnte ein Tier mit spitzen Zähnen kommen, dass sie vermutlich das einzige Kind der Welt ist, das es hasst an den Strand zu gehen, weil sie Angst vor Wasser hat und dass man sich mit ihr nicht normal zu Fuss fortbewegen kann, weil sie panische Angst vor Autos hat (evolutionär etwas schwieriger zu erklären, aber Autos sind halt gross, schnell und laut). Alles zum Schutz und wer weiss wozu es gut ist…
Aus die Maus?
Heute war ich in der Forschungsstation. Viele kleine Mäuse mit rotem, weichem Fell und schwarzen Knopfaugen in der Hand gehalten, abschliessende Handgriffe zum Experiment getätigt, letzte Mäusebabies gewogen, Mäuseurin unter UV-Licht ausgewertet, aufgeräumt. Zum Schluss drei Räume voller Mäuse verschenkt. Und immer wieder ‚Vielleicht zum letzten mal.‘ gedacht.
Als ich damals die Forschungsgelder für dieses Projekt bekam, fühlte sich das an als wäre mein Einkommen für die Ewigkeit gesichert. In ein paar Monaten läuft das Projekt aus und ich hatte schon eine Verlängerung durch die Babypause.
Ich erinnere mich, vor genau 12 Jahren und dann noch ein mal vor genau 6 Jahren, da hatte ich schon einmal solche ‚Vielleicht zum letzten mal.‘-Tage in genau der selben Forschungsstation. Deshalb habe ich es heute nicht so schwer genommen. Die Zeit wird zeigen ob aller guten Dinge drei sind oder vielleicht doch vier. Und wie lange noch der Spass an der Wissenschaft all den Stress, den Druck und die ewig ungewisse Zukunft ausgleichen kann.
Den Tag nicht vor dem Abend loben
Das geht nie gut, auch nicht kurz vor Mitternacht.
Seit die Kollegin und ich die Flüge zum Kongress gebucht hatten machten wir uns Sorgen. Ein halbes Jahr lang Sorgen, denn auf dem Heimweg hatten wir zwischen Ankunft des einen Fluges und Abflug des Anschlussfluges 30 Minuten Zeit. Aber dies war irgendwie die einzig mögliche Verbindung um noch am Freitag Abend nach Hause zu kommen und nur mit Handgepäck und ohne irgendwelchen Verspätungen am Helsinkier Flughafen eigentlich auch gut machbar.
Flugzeug Nummer 1 landete überpünktlich. So weit so gut, gratulierten wir uns, waren uns aber durchaus bewusst, dass wir noch nicht am Gate des anderen Flugzeuges sassen. Und tatsächlich. Wenige Meter vor der Andockstation blieb das Flugzeug stehen. Kurz darauf kam die Ansage man möge bitte sitzen bleiben und sich gedulden. Wir fingen an auf unseren Sitzen hin-und herzurutschen. Aber dann… nach 5 quälenden Minuten rollte das Flugzeug die letzten Meter und wir konnten aussteigen. Wir liefen zügig, aber nicht hektisch, ein paar Gates weiter, setzten und gratulierten uns ausgiebig. All die Sorgen für nichts, es war doch super gelaufen. Fehler Nummer 1. Ein paar Minuten später rief das freundliche Bodenpersonal zum boarding. Unser Flugzeug sei jetzt zum Einsteigen bereit. Wir stellten uns in der kleinen Schlange an, die ersten Leute passierten das Gate und die Kollegin sagte so etwas wie „Wie angenehm, dass wir jetzt nicht noch mit dem Zug oder gar Bus weiterfahren müssen, sondern schon in einer Stunde zu Hause sind.“ Fehler Nummer 2. Ich sehe den Mann vor mir der freundlich lächelnden Dame seinen boarding pass reichen, als sie ihr Walkie Talkie aufnimmt und sagt „Waaaaas? Der Flug ist gestrichen?“ Nach wenigen Sekunden der Starre hat sie sich gefangen, lächelt wieder freundlich und teilt uns mit „Meine sehr verehrten Damen und Herren, ihr Flug wurde soeben gestrichen.“ Dann pfiff sie die Leute zurück und bat uns zu warten. Finnen wären keine Finnen wenn sie sich alle wieder ruhig hinsetzen würden und der Dinge die da kämen harren würden. Die Kollegin und ich sahen uns an und wir brachen in hysterisches Gelächter aus.
Zehn Minuten später, wir hatten alle seelenruhig gewartet, bekamen wir eine Erklärung. Der Co-Pilot sei erkrankt, zu so später Stunde fänden sie keinen Ersatz und jetzt würde man uns einen Bus besorgen, der uns nach Hause bringt. Ein Anruf zu Hause erbrachte, dass das Räupchen noch auf war, weil man geplant hatte mich als Willkommensüberraschung vom Flughafen abzuholen. Für das kleine Räupchen, das schon so viele Tag sehnsüchtig auf mich gewartet hatte, brach ihre kleine Welt zusammen. Das machte die Sache irgendwie nicht besser.
Um eine lange Geschichte schnell zu Ende zu bringen. Nach 1,5 Stunden kam der Bus, nach 3,5 weiteren Stunden schloss ich die Wohnungstür auf. Um 5 Uhr kroch ich wie versprochen endlich unter Räupchens Bettdecke. Draussen wurde es gerade hell und die drei Stunden Schlaf, die mir dann noch vergönnt waren, waren genau das, was man nach einer ziemlich anstrengenden Tagungswoche braucht. Oder so.
Räupchen,
wenn du morgen Abend ins Bett gehst, dann dauert es nicht mehr lange und ich krieche auch unter deine Decke. Das wird schön! Vorher habe ich noch ein bisschen Kongress. Und dann Zug und dann Flugzeug und dann noch ein Flugzeug, wieder Bus und schließlich Taxi.
Hej då!
Mama
Mein Räupchen,
Heute war ein richtig guter Tag. Gleich früh habe ich meinen Mausvortrag gehalten. Das war sehr aufregend, aber alle haben mucksmäuschenstill zugehört und als ich fertig war gab es tosenden Applaus. Nur ‚bravo‘ hat keiner gerufen :)
Zur Belohnung hatte ich den Nachmittag frei. Ich bin mit dem Zug in eine benachbarte Stadt gefahren und habe sie mir bei Sonnenschein und mit viel Gemütlichkeit angeschaut. Eingekauft habe ich auch. Dich hätte das entsetzlich gelangweilt, aber ich habe schöne Sachen gefunden. Wirst dich freuen. Ich habe auch ein super Geburtstagsgeschenk für Papa gefunden, aber was es ist verrate ich dir erst wenn ich wieder zu Hause bin.
Das ist ja bald, zum Glück. Schlaf gut kleine Motte,
Mama
Kleine Raupe,
mein Mädchen, du fehlst mir so. Heute habe ich spannende Dinge über Spinnen auf Hawaii, Hirsche in England und Fische in Afrika gelernt. In der Pause habe ich mich in die Sonne gesetzt und einen Apfel gegessen. Eine Wespe kam vorbei und ich habe großzügig mit ihr geteilt. Zum Dank hat sie mich in die Lippe gestochen. Fünf Minuten später war meine Unterlippe so groß wie dein roter Ball. Da haben nur noch die weißen Punkte gefehlt. Jetzt ist aber zum Glück alles wieder gut, denn morgen ist ja Mamas großer Tag. Morgen erzähle ich allen von den Mäusen, die werden staunen. Drück mir die Daumen!
Noch dreieinhalbmal schlafen bis wir uns wiedersehen!
Mama
Mein liebes Räupchen,
die Prinzessin von Schweden habe ich leider noch nicht gesehen. Dafür viele Leute aus Australien. Zum Beispiel die Frau, die immer „high five“ mit dir gemacht hat, weißt du noch? Sie haben alle nach dir gefragt.
Heute war es so schön sonnig und fast barfußwarm. Trotzdem saß ich den ganzen Tag in einem alten Haus, das aussieht wie eine Burg. Da waren viele Leute, 1000, das ist noch viel mehr als 100. Mäuseforscher waren auch dabei, das sind mir natürlich die liebsten.
In der Mittagspause habe ich ein Eis gegessen. Das hat genauso gut geschmeckt wie in Italien. Lecker! Das schönste aber heute war mit dir zu telefonieren.
Jetzt gehe ich schlafen. Wie versprochen treffen wir uns im Traum. Bis gleich,
Deine Mama
Liebes Räupchen,
liebe Grüße aus dem Königreich Schweden. Hier sprechen wirklich alle schwedisch und es hört sich wirklich lustig an :) Ich verstehe kein Wort.
Auch wenn es vielleicht nicht so aussah, ich war heute am Bahnhof mindestens so traurig wie du. Deshalb verstehe ich es auch, daß du mir nicht Tschüß sagen wolltest und zum Glück haben wir uns ja schon heute Morgen viele Küßchen auf Vorrat gegeben. Mit dem Zug bin ich zum Flughafen gefahren, dann mit einem dunkellila Flugzeug nach Dänemark geflogen und schließlich mit einem anderen Zug nach Schweden. Komisch, was? Das Hotelzimmer ist riesig und auf dem Bett kann man super hüpfen – ich habe es extra für dich ausprobiert. Ich werde dich sehr vermissen heute Nacht unter meiner Decke.
Ich hoffe du hattest einen schönen Nachmittag mit deiner allerbesten Freundin. Hast du vorm Schlafengehen die Überraschung unter deinem Kopfkissen gefunden? Und wie hat der kleine Affe auf deinem Arm die Dusche überstanden?
Morgen früh muss ich zeitig aufstehen, denn dann beginnt mein Kongress. Du weißt schon – da wo die vielen Leute hinkommen, die alle etwas über Tiere erzählen. Als allererstes fängt es wohl mit Ameisen an. Mach dir eine schöne Woche mit Papa und viel Spaß morgen im Kindergarten. Ihr fehlt mir sehr, alle beide.
Mama
Mein schönstes Ferienerlebnis
Früher in der Schule mussten wir immer nach den Sommerferien einen Aufsatz über unser schönstes Ferienerlebnis schreiben. Ich hab das gern gemacht und erinnere mich an dramatische Schilderungen einer Seilbahnfahrt und eine kurze Abhandlung über einen Rodelberg namens Hummelmühle (das waren wohl eher die Winterferien). Das Räupchen wird auch nicht müde über ihr schönstes Erlebnis zu erzählen und weil sie noch nicht schreiben kann, hat sie gemalt.
Anfang August
Der Sommer, der nie kam, ist nun scheinbar zu Ende. Heute Morgen habe ich die Übergangssachen für’s Räupchen rausgekramt, die sie eigentlich gestern schon gebraucht hätte. Gut, dass der Kindergarten immer einen kleinen Vorrat an extra Handschuhen hat.
Es ist Abend
Ich bringe das Räupchen ins Bett. Wie immer liege ich neben ihr. Der Tag war anstrengend, ziemlich bald schliesse ich meine Augen und dämmere so dahin. Als es aus weiter Ferne an mein Ohr dringt: „Mama! Mama, ich hab hier einen Popel.“
Mit aller Kraft öffne ich meine Augen. Sie streckt mir ihren Finger mit einem ansehnlichen Exemplar drauf entgegen. Ich seufze. Dann quäle ich mich hoch, tappe in den Flur, fummel ein Taschentuch aus der Packung, schüttel es schonmal auf und betrete erneut das Kinderzimmer. „Huch, jetzt isser mir runter gefallen. Aber macht ja nix.“