Eine Zugfahrt

18:15 Wir besteigen einen ziemlich alten Zug im Osten Finnlands. Ein sehr schönes zweitägiges Meeting in Joensuu liegt hinter uns. Ich habe soeben meinen ersten Parasitenvortrag gehalten und mein Herz klopft immer noch ein bisschen schneller als sonst. Ich erwähne etwas irritiert, dass ich während des Vortrags einen Anruf vom Exchef erhalten habe. Da erzählt mir der neue Chef, er hätte eben gehört, dass er im Krankenhaus liegt. Ich rufe dann doch zurück. Schlechte Neuigkeiten. Aber eigentlich geht es ihm um das wirklich äusserst ungünstige Timing der ganzen Sache, so rein arbeitsmässig, und ich verspreche zu helfen. Oje.

18:32 Der Zug setzt sich ruckelnd in Bewegung.

18:37 Ich lese meine Emails und bekomme grosse Augen, als ich ein richtiges echtes Jobangebot sehe. Dass ich sowas mal erleben darf! Ich weiss allerdings sofort, dass ich nicht weiter darüber nachdenken muss. Deshalb halte ich die Email meinem Chef grinsend unter die Nase. Der guckt ziemlich entsetzt und entspannt sich erst als ich ihn lachend frage, ob er nicht auch findet, dass ich momentan zu beschäftigt für sowas bin.

18:54 Der Zug hält in einem Ort namens Viinijärvi –  ein Häuschen mitten im Wald. Wie schon auf der Hinfahrt amüsiere ich mich königlich über diesen Namen. Das hätten die Finnen sicher gern, einen See voller Wein.

19:10 Es gibt einen gewaltigen Rumms und dann rollen wir ganz offensichtlich über etwas. Der Zug bremst scharf, wir halten. Irgendwo im Nirgendwo.

19:15 Durchsage: Da war irgendein Tier im Weg. Wir müssen jetzt Tier und Zug überprüfen.

19:29 Durchsage: Die Lok ist so beschädigt, dass wir nicht weiter fahren können. Die Reise endet hier.

19:32 Der Schaffner kommt vorbei. Es war ein Elch. Es gäbe zwei Möglichkeiten. Entweder holt uns eine neue Lok aus Joensuu ab, bringt uns zurück und wir verbringen die Nacht dort. Oder man bestellt einen Bus, der uns nach Hause fährt. Irgendwo 400 m weiter sei eine Strasse, aber wir müssten bis dahin durch 60 cm Schnee stapfen. Du bist ja gross, sagt er zum Chef, du kannst voraus gehen und graben. Ich gebe euch Bescheid was wird.

19:37 Ich rufe zu Hause an. Das Räupchen, das mich zwei Stunden später vom Zug abholen wollte, fängt bitterlich zu weinen an. Irgendwie kommt mir die Situation bekannt vor.

20:05 Der Schaffner kommt vorbei. In einer halben Stunde sei der Bus da. Wir sollen uns dann  warm anziehen. Wir erkundigen uns ob sich vielleicht schon ein Rudel Wölfe am Kadaver gütlich tut. Er weiss es nicht.

20:21 Durchsage: Es war kein Elch, sondern ein Wildschwein.

21:19 Der Schaffner kommt vorbei. Der Bus kommt nicht zur Waldstrasse durch. Sie haben jetzt eine Lok in Joensuu bestellt, die uns zu einer grösseren Strasse zieht und der Bus holt uns dort ab.

21:26 Durchsage: Es war doch kein Wildschwein, sondern ZWEI Elche. (man stelle sich nun einen Zug voller Biologen vor)

21:32 Durchsage: Die Lok ist nur noch 7 km von uns entfernt. Der Chef scherzt: Gleich sagt er durch, dass sie nur noch 4 km entfernt ist.

21:35 Durchsage: Die Lok ist nur noch 4 km von uns entfernt.

21:42 Die Lok wird deutlich spürbar angekoppelt.

21:47 Wir hören erst sehr seltsame Geräusche, dann machen sich drei ernst dreinschauende Herren in Arbeitskleidung an unserem Waggon zu schaffen. Bremsen eingefroren?

22:03 Der Zug bewegt sich einen Meter in die falsche Richtung.

22:07 Es geht los.

22:08 Wir passieren zwei Elche, die auf dem Rücken liegen, die Beine in die Luft gestreckt :-(

22:12 Wir halten, alle ziehen sich an.

22:14 Der Zug bewegt sich sehr ruckelnd ein paar Meter.

22:16 Der Schaffner kommt vorbei. Der Bus wartet leider am falschen Ort. Es dauere noch eine Weile. Dafür würde der Zug jetzt genau so parken, dass wir nicht durch den Tiefschnee müssen.

22:25 Ein Aufschrei hallt durch unseren Waggon. Autolichter! Dann Durchsage: Der Bus ist jetzt da.

22:35 Der Bus fährt los und ich sehe ein Strassenschild: Joensuu 37 km.

2:20 Ich liege im Bett.

4 Kommentare zu „Eine Zugfahrt

  1. Oh je, das war ja eine nervige Zugfahrt. Schon komisch, wie man zwei Elche mit einem Wildschwein verwechseln kann. Arme Tiere. Schön, dass du doch noch gut zu Hause angekommen bist.
    Liebe Grüße,
    Kathrin

  2. Wow, in Zügen ist mir ja auch schon viel passiert, aber das übertrifft alles! Schade nur um die Elche.

    (Habe trotzdem herzhaft gelacht)

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